Die Motte und das Zen
Empfangene Unterweisungen müssen angewendet werden

Die Analyse von Informationen besteht aus mehreren Phasen. Als erstes wird die Information vom Verstand einfach wahrgenommen. Danach beginnt die eigentliche Analyse der Thematik. In dieser Phase entwickelt der Verstand einen kritischeren Zugang zum gelernten Stoff und fängt an, ihn detailliert zu betrachten. Die Aneignung der Thematik macht die dritte Phase aus: der Verstand sortiert die Information in unterschiedliche Schubladen und versieht sie mit bestimmten Etiketten. Die vierte Phase beginnt, wenn der Mensch gemäß der angeeigneten Information handelt. Und wenn er die Information nicht verwirklicht, dann wird die zuvor gemachte Arbeit im Allgemeinen nutzlos sein. Zum Beispiel haben viele von euch sich Den Text Der Guru-Yoga studiert und anfänglich gab es keine Fragen. Menschen nahmen Den Text auf und sagten: "Alles klar. Es kann keine Fragen geben". Dann tauchten aber bei denen, die zur nächsten Phase übergegangen sind, Fragen auf - nach einer weiterführenden Auseinandersetzung mit der Thematik. Und ich weiß gar nicht, wer die nächste und letzte Phase erreicht, wenn ihr gemäß dieser Information handeln werdet.

Deswegen sind die Vorlesungen selbstverständlich vom Nutzen - sogar für diejenigen, die mit der eigentlichen Praxis noch nicht begonnen haben. Wenn Menschen Die Texte studieren oder die Vorlesungen hören, dann ist es alles Information, die sie aufnehmen werden. Und das bedeutet, dass diese früher oder später als Handlungsanleitung dienen wird. Klar, je öfter ein Mensch eine und dieselbe Information wahrnimmt, desto gründlicher wird deren Aneignung, aufgrund der Wiederholung. Eben auf diese Weise eignet der Verstand Informationen an: durch die mehrfache Wiederholung. Deshalb kann man in vielen fernöstlichen Texten eine Vielzahl von Stellen finden, die sich wiederholen. Das kommt oft vor, nicht weil jemand aus Unaufmerksamkeit dasselbe zweifach oder dreifach aufgeschrieben hat, sondern wird dies mit dem Ziel getan, dass sich Menschen die Information möglichst besser und schneller aneignen.

Wenn ihr aber die Vorlesungen hört und sie in ihrem alltäglichen Leben nicht benutzt, dann hört ihr diese Vorlesungen umsonst. Der Mensch trägt immer Verantwortung für den Wissensbesitz. Wenn der Mensch nicht weiß, was und wie man tun muss, und tut das nicht, dann ist das eine Ebene der Verantwortung. Die Situation ist völlig anders, wenn der Mensch weiß, wie und warum man handeln muss und nicht handelt. Dies ist eine wesentlich größere Verantwortung. Auch wenn ihr die Funktionsweise bestimmter Naturgesetze nicht kennt, heißt es nicht, dass ihr euch außerhalb ihrer Geltungsbereiche bewegt. Und obwohl ihr das nicht kennt und nicht in der Lage seid, dies logisch zu formulieren, seid ihr in diese Prozesse trotzdem involviert.

Und es ist gar nicht zwingend, dass ihr etwas aus den Vorlesungen erfahren sollt. Das ist lediglich eine Methode, Information zu bekommen. Beliebiges Wissen könnt ihr selbständig, ohne Hilfe jeglicher Vorlesungen, bekommen. Und kein einziger Lehrer, keine einzige Lehre können Information monopolisieren: das Wissen gehört nicht nur einem einzelnen. Ein Mensch oder eine Lehre können es einfach in bestimmte Worte fassen - aber nicht mehr. In Wirklichkeit gehört das Wissen niemandem. Wie kann man aber erklären, dass viele Menschen dermaßen bestrebt sind, Bücher zu lesen, in der Überzeugung, dass das ihnen in spiritueller Praxis hilft? Kein einziges Buch besitzt ein Monopol auf das Wissen. Es kann aus vielen Quellen kommen, nicht unbedingt nur aus Büchern. Wie kann man genauso die Verantwortung auf die Vorlesungen abwälzen, in der Hoffnung, dass ihr da unbedingt etwas verstehen werdet? Das wäre auch ein Fehler: heißt es dann, dass ihr nicht in der Lage seid, in der übrigen Zeit etwas zu verstehen? Und praktizieren könnt ihr nicht nur während der Gruppenübungen oder, mal angenommen, nur zweimal am Tag. Warum sich nur auf bestimmte Zeitintervalle beschränken? Praktizieren kann man jederzeit und den Erfolg kann man auch jederzeit erzielen. Es kann sein, dass ihr gerade in dem dafür unpassendsten Moment etwas erreichen werdet. Wie kommt ihr darauf, dass eurer Erfolg nur beim Sitzen in der Konzentration kommt?

Deshalb müsst ihr die Informationen, die ihr bekommt, auch in die Praxis umsetzen. Ansonsten werdet ihr nicht in der Lage sein, sich neue Information anzueignen. Wie könnte ihr euch neue Information aneignen, wenn ihr die alte nicht verwirklicht? Nutzt die erhaltene Information - dann werden eure Fragen entfallen. Nur wenn ein Mensch beginnt, das Wissen unmittelbar aus eigener Quelle zu erhalten, lösen sich all seine Fragen auf. Nicht weil er nichts mehr erfahren kann, sondern weil er das selbständig, ohne Hilfe der Fragen, erfahren kann. Es gibt immer etwas zu erfahren, weil der Erkenntnisprozess ein fließender Prozess ist, er ist für sich genommen nicht konstant. Nur ein toter Mensch erkennt nichts mehr. Obwohl heutzutage sehr viele Menschen mit den lebenden Toten vergleichbar sind: sie tragen nur ihre Hülle, dabei haben sie gar keine Interessen. Genauso fangen mache Praktizierende an, wie Skulpturen im Meditationsraum auszusehen. Wie Buddha-Steinbilder haben sie weder Interessen noch Bedürfnisse. Sie sind mit allem zufrieden und haben keine Bestrebungen.

Wenn ihr denkt, dass das, womit ihr euch beschäftigt, Praxis ist, und dass es nichts mehr gibt, wonach man streben sollte - irrt ihr euch. Eben diese eure Gewissheit wird euch niemals praktizieren lassen. Ihr könnt euch nicht mal dessen sicher sein, dass ihr jenes richtig versteht, was ihr gerade aufschreibt. Dafür gibt es keine Garantie. Der Inhalt, mit dem ich meine Worte fülle, ist das eine, aber das, was ihr darunter versteht, ist etwas ganz anderes. Und jeder von euch kann das Gesagte auf eine andere Weise wahrnehmen. Deshalb sind nicht nur unterschiedliche Vorlesungsreihen, sondern sogar unterschiedliche Mitschriften einer und derselben Vorlesung möglich. Überdies darf man keine Gewissheit bezüglich der eigenen Praxis besitzen. Wie könnt ihr sicher sein, dass etwas bei euch nicht klappen wird? Wie könnt ihr sicher sein, dass man unbedingt lange praktizieren muss? Woher habt ihr diese Überzeugung? Woher wisst ihr das? Nur ein Mensch, der über vollständiges und vollkommenes Wissen verfügt, kann das wissen. Und da so ein Mensch keine solche Überzeugungen, ist er nicht auf sie fixiert. Dagegen wird jedes partielle Wissen euch keine Gewissheit bezüglich der Richtigkeit eurer Praxis geben.

Wie könnt ihr an euren Handlungen zweifeln? Wer hat euch das Recht gegeben zu meinen, dass etwas falsch laufen wird? Warum habt ihr entschieden, dass Zweifel überhaupt etwas bringen? Wenn sich ein Mensch dessen sicher ist, dass er sich inzwischen in dem Alter befindet, in dem man nicht mehr praktizieren kann, oder sich dessen sicher ist, dass irgendwelche materielle Umstände seine Praxis nicht zulassen werden, erschwert er damit seinen eigenen Weg. Menschen denken sich selbst irgendwelche Umstände aus, damit sie sie später überwinden können. Warum seid ihr also zum Schluss gekommen, dass eures Leben unbedingt ein Hindernis für eure Praxis sein wird, dass das Leben die Praxis überhaupt durch irgendetwas erschweren wird? Deshalb, wenn ihr jetzt der Vorlesung folgt, versucht ihr nicht, in diesem Moment zu praktizieren. Ihr denkt, dass ihr jetzt die Vorlesung hören und erst dann praktizieren werdet. Genauso wie in jeder Sekunde eures Lebens schiebt ihr die Praxis immer wieder auf die lange Bank. Ihr meint ja immer, dass ihr Zeit zum Praktizieren habt: "Ich werde abends oder morgens üben. Jetzt werde ich die Probleme lösen - dann werde ich praktizieren". Ihr schiebt immer auf - als ob ihr unsterblich seid und Zeit habt, unendlich aufzuschieben. Viele Menschen können so nichts schaffen, weil sie stets aufschieben.

Es reicht nicht, irgendwelche Worte zu hören und aufzuschreiben: man muss auch deren Zweck begreifen, den Anlass, aus dem sie gesagt werden. Wenn man zu einem passiven Zuhörer wird, wodurch wird man sich dann von den Wänden unterscheiden, die auch diese Worte hören, sich dadurch jedoch nicht verändern? Obwohl manche meinen, dass auch Wände von spirituellen Vibrationen durchdrungen werden. Ihr werdet aber vom nichts durchdrungen. Was kann man aus einer Vorlesung verstehen, wenn man sich so ablenken lässt? Jetzt seid ihr noch nicht in der Lage, die Vorlesung wahrzunehmen: ihr seid mit Eindrücken überfrachtet, weil ihr die Vorlesung an einem anderen Ort und in der Anwesenheit von Menschen hört, die ihr zuvor nie gesehen habt. Alles was ihr ständig tut, ist darüber zu denken. Und das passiert jederzeit: ihr sammelt euch innerlich nicht darauf, was ihr macht, sondern schiebt dies jedes Mal zur Seite. So kommt es, dass der Unterschied nicht darin liegt, dass wir unterschiedliche Dinge tun - wir laufen sogar in unterschiedliche Richtungen. Deshalb, obwohl wir an einem und demselben Ort anwesend sind, in einer und derselben Vorlesung, können wir kaum in einem Punkt zusammenkommen. Es kommt so, dass ich mit allen Kräften versuche, mich euch zu nähern und ihr seid sofort bestrebt wegzulaufen. Und wenn ich eure Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge richte, seid ihr bestrebt, alle Augen und Ohren unverzüglich zu schließen, um das nicht zu sehen und nicht zu hören. Wenn ich euch sage, dass ihr unverzüglich praktizieren sollt, versucht ihr sofort einen Vorwand zu finden, um das nicht zu tun. Ihr klammert euch an alle mögliche Umstände, nur um nicht unverzüglich handeln zu müssen.

Warum nicht gerade jetzt erkennen? Erkennt jenes, was sich in euch selbst befindet. Viele klammern sich jetzt an die Worte und sagen: "Und was soll ich denn erkennen? Und wie soll ich erkennen? Und was ist das Kriterium dessen, dass ich richtig erkenne?". Sogar sich lange Zeit mit Konzentration zu quälen - auch das ist nicht notwendig. Eben deswegen üben sich Menschen so lange in Konzentration, weil sie sich damit gerade in dem gegebenen Moment nicht befassen wollen. Sie erschweren und verlängern maximal ihren Weg, indem sie ihn in unzählige Phasen teilen, die man jahrzehntelang passieren muss. Darin liegt der Unterschied zwischen denen, die unverzüglich praktizieren und schnell erreichen, und denen, die lange Zeit praktizieren: die einen haben entschieden, unverzüglich zu praktizieren, die anderen haben entschieden, sich erst einmal etwas zu quälen. Je länger der Weg ist, desto weniger real wird er. Heutzutage ist unser Leben so, dass es praktisch unmöglich ist, etwas zehn Jahre im voraus einzuplanen: keiner weiß, was in zehn Jahren passieren wird. Wenn ein Plan innerhalb eines Jahres erfüllt werden kann, ist es ein realistischerer Plan. Aber wenn er innerhalb von höchstens wenigen Tagen oder Wochen realisierbar ist, dann wird das Geplante mit hoch größerer Wahrscheinlichkeit eintreten.

Wie kann man nur so zur Praxis stehen? Wie ein Unsterblicher, ein ewig Lebender, sie immer aufschiebend? Immer im Glauben, dass man die Praxis auf die lange Bank schieben kann und irgendwann später ein wenig üben, weil es acht Niveaus und viele Etappen der spirituellen Entwicklung gibt. Denn die Mehrheit von euch verspielt die Chance, schnell zum Erfolg zu kommen. Ihr schiebt diese günstige Gelegenheiten auf und macht eure Praxis lang und qualvoll. Ein Mensch hat meistens zu wenig Kraft, um alle Umstände zu überwinden. Nur in den günstigsten Umständen können eure Kräfte dafür reichen, um alles nur mit einem Ruck unverzüglich zu erledigen.

Deswegen wird alles, was über lange Phasen, Zwischenphasen, Niveaus gesagt wird, all das wird von den Menschen verwendet, um zu begründen, warum die Praxis graduell und lang sein muss. Warum? Obwohl sich die Menschen so lange auf ihre Erkenntnis vorbereiten, geschieht die Erkenntnis selbst augenblicklich. Deshalb ist es nicht richtig zu sagen, dass alle Etappen jahrzehntelang passiert werden müssen. Die Einstellung an sich, dass alles lange gemacht werden muss - eben sie stört. Wenn ein Mensch jetzt sagt "Ich werde in zehn Jahren praktizieren", wird er in zehn Jahren noch mal sagen "Ich werde in zwanzig Jahren praktizieren". Und so wird er seine Praxis immer aufschieben. Wenn ihr aber begreift, dass man gerade jetzt praktizieren und gerade jetzt Erfolg erzielen kann, werdet ihr vielleicht den Erfolg erzielen. Wann dies aber der Fall sein wird, weiß keiner.

Lasst uns doch jetzt praktizieren.

Praktiziert, wer hindert euch daran?

Wir praktizieren. Ich praktiziere.

Dann gibt es kein Problem. Bürgen kann man natürlich nur für sich selbst und für niemanden sonst. Man kann für niemand anderen Verantwortung tragen.

Ich könnte erzählen, wie ich jetzt praktiziere.

Das ist deine Erfahrung, man kann sie nicht teilen.

Ja, das ist meine Erfahrung, aber ich bin daran interessiert, dass auch alle anderen praktizieren.

Das wird deren Erfahrung sein. Es ist gar nicht zwingend, dass alle auf gleiche Weise praktizieren: jeder wird auf seine Art praktizieren. Jeder hat seinen Weg und jeder hat seine Lösung. Deshalb ist das, was ihr besitzt, euer Schatz. Genauso wie ein Mensch nicht versucht, diesen Schatz den anderen wegzunehmen, teilt er ihn auch mit niemandem.

Und Sie teilen ihn mit niemandem?

Ihr könnt alles sagen, aber das trifft den Kern nicht. Wenn ihr beginnt, darüber einem anderen zu erzählen, ist das bereits keine Erfahrung mehr, sondern nur Worte. In dem Moment, in dem ihr sagt "ich meditiere", habt ihr schon eure Erfahrung verloren.

Aber eine Minute früher war sie da.

Und in dieser Minute ist sie nicht mehr da. Als ob ihr jetzt lügen würdet. Ihr sagt nicht die Wahrheit, obwohl es eine Minute früher richtig hätte sein können.

Ich denke, dass ein paar Sekunden nicht sehr wichtig sind.

Das ist ein prinzipieller Fehler. Eben deswegen waren Lehrer niemals in der Lage, ihre Zustände zu beschreiben: dies ist unmöglich. Wenn ihr die Uhrzeit in diesem Moment sagt - mit Stunden, Minuten und Sekunden - kommt ihr schon zu spät. Während die Worte ausgesprochen werden, vergeht mindestens eine Sekunde und ihr seid zu spät. Selbst wenn ihr versucht, die Uhrzeit eine Sekunde im Voraus zu sagen, wie das manche Schlauköpfe tun, kommt es beim Zuhörer trotzdem eine Sekunde später an. Und ihr werdet es nie rechtzeitig schaffen können. Deshalb kann man mit Worten nicht das erfassen, worin Zen besteht. Das Zen ist jedem Sinn, jedem Verständnis immer einen Schritt voraus. Wenn ihr jedoch nicht mehr versucht, eure Erfahrungen mit irgendwelchen Worten weiterzugeben oder sie durch Worte zu bekommen, kommt ihr vielleicht rechtzeitig an.

Stetige Erfahrung Der Vollkommenen Weisheit ist eine Erfahrung, die ein Mensch jede Sekunde erlebt. Jeden Augenblick bekommt er diese Erfahrung. Faktisch ist es jener Titel und jener Rang, den ein Praktizierender jede Sekunde bestätigen muss. Manche sagen: "Vor drei Jahren hatte ich eine Meditationserfahrung", "Gestern habe ich einen tiefen Zustand erlebt". Das Wichtigste ist jedoch, dass die Erfahrung heute nicht mehr da ist. Vielleicht konnte sich jemand vor drei Jahren mit Recht Lehrer nennen, solange er die innere Erfahrung hatte. Aber wenn die Erfahrung inzwischen verlorengegangen ist, kann ein solcher Mensch keine Autorität im Hinblick auf spirituelle Praxis mehr besitzen. Deshalb darf man sich auf solche Menschen nicht verlassen. Falls jemand zu euch kommt und sagt, dass er irgendwelche Erfahrungen hatte und dass er in einem tiefen Zustand versinken kann, wenn er das nur will, lasst euch dadurch nicht verwirren. Denn diese Erfahrung ist jetzt, in der gegebenen Minute, nicht mehr vorhanden. Nur der jetzige Moment zählt. Wenn ein Mensch kommt und meint: "Ich hatte früher diese und jene Erfahrung. Was soll ich damit tun?" - warum klammert er sich an die Vergangenheit anstatt hier und jetzt zu praktizieren und diese Erfahrung jetzt zu besitzen? Wenn ihr euch an die Vergangenheit klammert oder von der Zukunft träumt, verliert ihr die Gegenwart.

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